Wie wird man Kulturhauptstadt?


Was haben Bad Ischl und Chemnitz gemeinsam? Sie sind europäische Kulturhauptstadt geworden. Bad Ischl? Ernsthaft? Unser Nürnberg-Autor Ralf Nestmeyer geht hier der Frage nach, wie man eigentlich Kulturhauptstadt wird. Oder anders gesagt: Was hat den Städten Oslo, Barcelona und eben auch Nürnberg gefehlt, um europäische Kulturhauptstadt zu werden …

Ralf Nestmeyer ist Historiker und lebt seit 1995 als freier Autor in Nürnberg. Er ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und hat nicht nur zahlreiche Reiseführer für den Michael Müller Verlag geschrieben, sondern auch Kriminalromane. Seine Essays, Reportagen und Rezensionen sind u.a. in der ZEIT, FAZ, taz, Spiegel online und dem Arte Magazin erschienen. Weitere Infos unter http://www.nestmeyer.de.


Am 28. Oktober 2020 hat eine unabhängige europäische Expertenjury entschieden, dass Chemnitz im Jahr 2025 die europäische Kulturhauptstadt werden wird. Glückwunsch nach Sachsen!

Als Nürnberger und Autor eines Nürnberg Reiseführers habe ich diese Entscheidung allerdings mit einem weinenden Auge zur Kenntnis genommen und mich gefragt, welche Kriterien bei der Bewerbung um den Titel den Ausschlag gegeben haben könnten? Zweifel, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist, hat die Süddeutsche Zeitung in ihrem Artikel vom 3. Dezember 2020 geäußert. Von Beratern, die gleich für mehrere Städte gleichzeitig gearbeitet haben, ist da die Rede. Von Interessenskonflikten und ziemlich hohen Beraterhonoraren …

Die Nürnberger Altstadt @ Ralf Nestmeyer

Ein Rückblick: Auf Vorschlag der damaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri wird seit 1985 jedes Jahr eine Stadt – seit 1999 meist mindestens zwei Städte – zur Kulturhauptstadt gekürt. Dies waren in der Anfangszeit meist Metropolen wie Athen, Florenz, Lissabon oder Paris, später kamen dann noch Riga, Marseille oder Breslau hinzu. Mit anderen Worten: Kulturstädte, die über jeden Zweifel erhaben waren und über die es im Programm des Michael-Müller-Verlags meist auch einen City-Guide gibt.

Doch in den letzten Jahren hat sich der Fokus der Expertenjury beträchtlich verschoben. Vor allem Städte aus der 3. und 4. Reihe durften sich mit diesem Titel schmücken, so das belgische Mons, das zypriotische Paphos oder das italienische Matera. Nein, ich will jetzt nicht die kulturelle Bedeutung dieser Städte in Frage stellen, doch spielen sie, was die Kulturlandschaft betrifft in einer ganz anderen Liga als Barcelona, Toulouse, Oslo oder Split – alles Städte, die es bisher nicht in den erlesenen Kreis geschafft haben.

Barcelona durfte sich auch noch nicht mit dem begehrten Titel „Kulturhauptstadt“ schmücken @ Michael Müller Verlag

Und wenn ich jetzt einen Blick in die Zukunft werfe und lese, wer in den nächsten Jahren die Kulturhauptstadt Europas sein wird, dann treibt es mir die Sorgenfalten auf die Stirn.

Was hat Bad Ischl was Nürnberg nicht hat?

Wie konnte die Wahl auf Eleusis (2021) oder Etsch an der Alzette (2022) fallen? Getoppt wird das allerdings durch die Entscheidung für Bad Ischl für das Jahr 2024. Der österreichische Kurort im Salzkammergut hat 14.000 Einwohner und sicherlich eine bewegte Geschichte mit dem einen oder anderen Kulturdenkmal, aber reicht das wirklich, um den Titel Kulturhauptstadt Europas zu tragen? Wird der Titel durch eine solche Wahl nicht konterkariert?

Andererseits kann sich Franken, wenn im Jahr 2040 Deutschland erneut die europäische Kulturhauptstadt stellen darf, auch wieder bewerben. Nein, dieses Mal nicht mit Nürnberg, sondern vielleicht mit Ansbach, Weißenburg oder mit Wolframs-Eschenbach? Alle drei Städte werden bei der Expertenjury sicherlich gute Chancen auf den prestigeträchtigen Titel haben …

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Ein Kommentar zu “Wie wird man Kulturhauptstadt?

  1. Obwohl ich selbst aus der Nähe von Nürnberg bin, finde ich die Entscheidung gut.
    Erstens weil Ostdeutschland leider noch immer das weitgehend unbekannte Deutschland ist. – https://andreas-moser.blog/2018/10/03/ostdeutschland/
    Zum anderen leidet Nürnberg nun wirklich nicht an Bekanntheit, Aufmerksamkeit oder Besucherströmen. Immerhin gibt es Ihren Nürnberg-Reiseführer schon in der 11. Auflage. 😉

    Und wenn ich mir die Kulturhauptstädte der nächsten Jahre ansehe, bekomme ich gar keine Sorgenfalten. Timisoara (2021) und Kaunas (2022) z.B. sind zwei absolut faszinierende Städte, und insbesondere Timisoara mit seiner Multiethnizität ist hervorragend für so ein europäisches Projekt geeignet.

    Bad Ischl, das den Titel übrigens nicht allein, sondern mit 20 umliegenden Gemeinden zusammen bekommen hat, war ein bedeutender Kurort und insofern auch eine europäische Stadt wie Marienbad oder Baden-Baden. Und außerdem: 2024 ist halt Österreich an der Reihe, und nach der Verkleinerung des Reichs 1918 stehen da nicht mehr so viele interessante Alternativen zur Verfügung.

    Ich finde es ganz gut, dass mit der Europäischen Kulturhauptstadt mittlerweile eine eher unbekannte Stadt ein Jahr im Rampenlicht stehen kann. Ich glaube auch, dass das der dortigen Kulturszene viel mehr bringt als in Paris oder Barcelona.
    Und es bleibt ja noch genug Zeit, um einen Reiseführer für Chemnitz zu schreiben. 😉

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