Die Freiheit hängt an der Toilette – Freedom Camping in Neuseeland

In zehn Sekunden wird das Schloss entriegelt, sagt eine Stimme aus dem Off. Bestärkend blinkt am Ausgang eine rote Leuchte. Klick! Zeit abgelaufen. Durch die Tür zwängt sich eine kräftige Meeresbrise und mit ihr die Kühle des Morgens. So freundlich und einladend sie ihn aufgenommen, ihm Privatsphäre versprochen hat, so geduldig sie ihm Schutz und blanke Armaturen bot und fließendes Wasser, so bestimmt entlässt die hochmoderne Toilette ihren Gast. Erstaunt über den plötzlichen Rauswurf, aber erfrischt und erleichtert.
Draußen erwärmt die Sonne den Asphalt und die Karosserien der Campervans, die den Parkplatz mit Blick auf Wellington am Abend zuvor besetzt haben. Über kurz oder lang treiben die steigenden Temperaturen jeden der Camper aus den mit Kondenswasser beschlagenen Fahrzeugen in die sauber gefliesten Wände der öffentlichen Toilette. Sie ist der Grund für die vielen Übernachtungsgäste auf dem grauen Feld des Parkplatzes Korokoro Gateway . Sie macht den Aufenthalt über Nacht legal.

Blick vom Parkplatz Korokoro Gateway auf Lower Hutt bei Wellington. (Foto: Lisa Kügel)
Blick vom Parkplatz Korokoro Gateway auf Lower Hutt bei Wellington. (Foto: Lisa Kügel)

Noch vor einigen Jahren gab es zum wilden Campen, im Kiwi-Englisch vielversprechend „Freedom Camping“, keine offiziellen Einschränkungen. Wer Rücksicht auf die örtliche Bevölkerung und die Natur nahm, brauchte sich über Nacht nur ein schönes, ebenes Plätzchen suchen. Vermehrt zurückgelassener Müll und andere menschliche Hinterlassenschaften führten im August 2011 jedoch zum Erlass des Freedom Camping Act. Das Gesetz erlaubt Freedom Camping zwar, lässt aber den lokalen Behörden freie Hand, eigene Regelungen zu treffen und Bußgelder von bis zu 200 NZ-Dollar zu verhängen. Gerade touristisch beliebte Regionen machen seither Gebrauch von diesem Recht. „No-Camping“-Schilder vermehren sich, die unterschiedlichen Vorgaben sorgen für Verwirrung.
Ist es vorbei mit der Freiheit? Nun, in touristischen Zentren wie Rotorua oder dem Abel-Tasman-Nationalpark wird kein Freedom-Camper einen legalen Stellplatz finden. Abseits der großen Besucherströme gibt es ihn aber noch, den einsamen Platz direkt am Strand oder inmitten der Bergkulisse der Southern Alps – Schafsblöken inklusive. Die Freiheit hängt an der Toilette. Denn wer nicht gerade im Wohnmobil mit eigenem Klo und Wasserversorgung unterwegs ist, befindet sich in der Nähe einer öffentlichen Sanitäreinrichtung eigentlich immer auf der sicheren Seite. Welch eine Überraschung, festzustellen, dass im dünn besiedelten Neuseeland zu jedem noch so abgelegenen „Scenic Reserve“ eine Toilette gehört.

Dämmerung an der Küste südlich von Kaikoura auf der Südinsel. (Foto: S. Hoffmann)
Dämmerung an der Küste südlich von Kaikoura auf der Südinsel. (Foto: S. Hoffmann)
Kostenloser Campingplatz bei Twizel auf der Südinsel. (Foto: S. Hoffmann)
Kostenloser Campingplatz bei Twizel auf der Südinsel. (Foto: S. Hoffmann)

Während dem Europäer jetzt Bilder von verdreckten Raststätten-Toiletten durch den Kopf gehen, ist der Kiwi längst im Klohäuschen verschwunden. Er weiß, drinnen wartet eine saubere Schüssel und eine Rolle Toilettenpapier. Ganz egal, ob er das spacige High-Tech-Örtchen samt musikalischer Untermalung und Sprachanweisung in Picton oder die Holzhütte mit Plumpsklo und fließendem Gewässer vor der Tür aufsucht. Böse Überraschungen sind äußerst selten, auch weil man das Klo ganz selbstverständlich ebenso hinterlässt, wie man es vorgefunden hat.
Wer den Enthusiasmus bezüglich dieses Themas noch nicht verstehen kann, der sei auf den österreichischen Künstler Friedensreich Hundertwasser verwiesen. Der machte ab den 70er-Jahren Neuseeland zu seiner Winterflucht, so sehr hatte ihn die Schönheit des Landes beeindruckt. Und nicht nur diese… Das erste von Hundertwasser errichtete Gebäude auf der südlichen Erdhalbkugel ist heute die touristische Hauptattraktion des kleinen Ortes Kawakawa auf der Nordinsel und laut einer überlieferten Aussage des Künstlers, ein wundervoller Ort zum Meditieren. Der Leser ahnt es schon – Hundertwasser vermachte dem Ort eine öffentliche Toilette.

Die Hundertwasser-Toilette in Kawakawa, von der Straße aus gesehen. (Foto: Reinhard Dietrich, via Wikimedia Commons)
Die Hundertwasser-Toilette in Kawakawa, von der Straße aus gesehen. (Foto: Reinhard Dietrich, via Wikimedia Commons)

Text: © Lisa Kügel
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Neu­see­land, das sind Ne­bel­wäl­der, tä­ti­ge Vul­ka­ne, Gey­si­re und bro­deln­de Schlamm­lö­cher, ewig lange, un­ver­bau­te Strän­de und fast 4.000 Meter hohe Ge­bir­ge. Ihr niederländischer Entdecker nannte die Inseln zunächst Statenland, Kartographen prägten später den Namen Nieuw-Zeeland, aus dem sich das heutige New Zealand bzw. Neuseeland entwickelte. Die Maori nennen ihr Land Aoteoroa: „Land der großen weißen Wolke“. Unser Reiseführer Neuseeland ist 2012 in 3. Auflage erschienen.

Neuseeland, 3. Auflage 2012, 26,90 EUR, 840 Seiten.
Neuseeland, 3. Auflage 2012, 26,90 EUR, 840 Seiten.

 

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