Rote Teufel, Corazón und Mariachi

Bus fahren war in Deutschland bis Anfang 2013 fast ausschließlich innerstädtisch oder von Dorf zu Dorf das Fortbewegungsmittel der Wahl, da die Bahn das Monopol auf den Fernverkehr innehatte. Mittlerweile besteht – Dank der Liberalisierung des Personenbeförderungsgesetzes – immer auch die Möglichkeit, Fernbusse für die Reise quer durch die Republik zu nutzen.
Ganz anders ist das in Zentralamerika. Wer die Region zwischen Karibik und Pazifik individuell bereisen will, kommt an den Bussen nicht vorbei. Länderübergreifende Verkehrsnetze, die auf den Hauptstrecken von großen Transportunternehmen bedient werden, ermöglichen Fahrten von Panama City bis Managua, zwischen Mexiko-Stadt und Tegucigalpa, von Guatemala City nach Belize. Der Nahverkehr ist fest in der Hand der Roten Teufel, der Diablos Rojos oder auch Chicken Busse.
Individualtouristen schätzen diese Art des Reisens, denn für vergleichsweise kleines Geld – die Fahrt von Panama’s Hauptstadt an die costaricanische Grenze kostet gerade einmal umgerechnet 12 Euro für die knapp 700 Kilometer – bekommt man nicht nur den Transport, sondern meistens auch ein kleines Abenteuer oben drauf.

Abwrackprämie, nein danke!
Abwrackprämie, nein danke! Changuinola, Panama.

Costa Rica, an der Karibikküste, irgendwo zwischen Limón und der Grenze zu Panama.

Am südlichen Ende der „Schweiz Mittelamerikas“, da wo die scheinbar endlosen Bananenplantagen beginnen, hört die richtige Straße auf. Der gelbe Chicken Bus, ein ausgemusterter Highschool-Bus aus den USA, rumpelt auf der Sand- und Steinpiste Richtung Sixaola, dem Grenzort zu Panama. Seinen Namen verdankt der Chicken Bus vor allem der engen Bestuhlung, häufig sind aber tatsächlich auch gefiederte Fahrgäste mit an Bord.
Es ist sehr feucht und heiß – diese Hitze sieht man auf den Postkarten mit den karibischen Palmwedeln nicht. Draußen ziehen die Bananenstauden, teilweise mit Plastikplanen bedeckt, mit dem Rascheln des Fahrtwindes vorbei. Wer sich noch nie gefragt hat, wie ein Kilo Bananen im hiesigen Discounter eigentlich 49 Cent kosten kann, obwohl sie nicht im Spreewald wachsen und mindestens zehn Stunden Flug hinter sich haben, der sollte vielleicht auch nicht allzu genau in das grüne Meer der Stauden schauen. Bis zu den Knien stehen die Erntehelfer im Schlamm der Wasserkanäle zwischen den Pflanzen in der prallen Tropensonne. Die lächelnde Chiquita-Frau mit dem Korb auf dem Kopf war allerdings nicht zu sehen. Ein Pfiff, und der Bus kommt zum Stehen. Schichtende. Oder eher Schichtwechsel. Drei Ticos im Blaumann springen auf, steigen aus, und die, die ihren Arbeitstag beendet haben, kommen herein. Einer hat eine Gitarre dabei. Kaum sitzt er, stimmt er zusammen mit seinen Kollegen an: Marley’s „Three little Birds“ mit dem Refrain „Everything’s gonna be alright“. Der ganze Bus summt mit.

Red Devil, Guatemala.
Red Devil, Guatemala.

Guatemala Stadt, Terminal de Autobuses.

Irgendwie kommt man immer an den Orten nachts an, wo man nachts eigentlich nichts verloren hat. Dazu zählt auch Guatemala’s Hauptstadt. Während der Diablo Rojo aus Antigua de Guatemala durch die dunklen Straßen der Stadt kurvt, kann man sich ein recht gutes Bild davon machen, was wohl passieren könnte, wenn man sich als wandelndes Dollarzeichen, mit dem 20 Kilo Rucksack als zusätzliches Handicap auf dem Rücken, hier und jetzt auf die Suche nach einer Übernachtung machen würde.
An roten Ampeln hält um diese Zeit keiner mehr, eiserne Regel. Alle Fenster auf Straßenhöhe sind vergittert, die Türen verbarrikadiert. Der Bus biegt in das Terminal ein, das – natürlich, wo sonst – im Rotlichtviertel liegt.
Die Durchsage des Fahrers in gebrochenem Englisch: „Everybody not from Guatemala City and waiting for transfer don’t leave the building, por favor„.
Wir haben uns alle daran gehalten –  Tipps von Einheimischen sind immer die besten.

Busbahnhof in Chiapas, Mexiko.
Busbahnhof in Chiapas, Mexiko.

Tuxtla Gutiérrez, Chiapas, Mexiko.

Wer in Zentralamerika öffentliche Verkehrsmittel benutzt, wird zwangsläufig zum Salsa-, Merengue- und Mariachifan. Ob morgens um halb fünf oder nachts um eins, das Buspersonal – Fahrer (Vater) und Ticketverkäufer (Sohn) – holt alles aus den blechernen Boxen der Diablos Rojos heraus. Die Roten Teufel sind eigentlich gar nicht zwingend rot, machen aber einen Höllenlärm und stoßen schwarze Rauchwolken aus den Auspuffrohren, wie es nur ohne Katalysator oder wohl im Fegefeuer möglich ist.
Der Motor röhrt, klimpert, und tuckert mit der Musik um die Wette. Meistens geht es um gehörig viel Corazón, Amor und Mujeres. Manchmal aber auch nur um Corazón. Jedenfalls scheinen alle die schmachtenden Texte zu kennen, und man selbst ertappt sich nach mehreren Wochen im Land auch dabei, den einen oder anderen Gassenhauer ausgemacht zu haben, bei dem man immerhin den Refrain mitsingen kann.

Gott fährt mit, hoffentlich.
Gott fährt mit, hoffentlich.

Wenn der Bus die Serpentinen in die autonome Region der Maya hinaufzuckelt, bergab viel zu spät gebremst wird, und scheinbar ohne zu Kuppeln die Gänge hineingehauen werden, ist die musikalische Untermalung der zentralamerikanischen Rhythmen nicht zu toppen.
Überholt wird ohnehin ständig und überall, auch wenn man gerade nicht über die nächste Kuppe sehen kann. „Jehova es mi Pastor„, steht auf der Windschutzscheibe.
Hoffentlich hat der Hirte heute seinen gnädigen Tag und bremst den Gegenverkehr aus.

Beitrag & Fotos © Johannes Endler.

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