Johannes Kral, Autor des gerade erschienenen MM-City Führers Mainz und seines Zeichens ex-Faschingsmuffel, erkundet die Fastnachtshochburg am Rhein während der närrischsten Zeit des Jahres – und da Angriff die beste Verteidigung ist, stürzt er sich einfach mit ins Getümmel.
Es ist kalt, nass und grau an diesem Freitag Anfang Februar. Der sonst so belebte Gutenbergplatz ist menschenleer. Keine knutschenden Teenager auf den Treppen des Staatstheaters. Keine Seniorengrüppchen beim Plausch nach dem Marktbesuch. Keine Touristen, die das Bronzestandbild Gutenbergs belagern. Nicht einmal die Tauben machen mit ihren Gurr-Lauten auf sich aufmerksam. Abgesehen von den Motorengeräuschen der Busse herrscht Stille.
Das passt ihr gar nicht! „Zuchplakettcher! Kaaft Zuchplakettcher!“, ruft die Dame Mitte 50 unüberhörbar in die Leere des Platzes. Selbstbewusst steht sie vor dem Theater. Um ihren Hals hat sie einen rot-blau-weiß-gelb gestreiften Schal geschwungen – die Farben der Mainzer Fastnacht. Ihr Haupt krönt eine Narrenkappe. Ein tiefer Sack hält sicher die Ware unter Verschluss, die heute Vormittag unters Volk gebracht werden soll. Der Verkauf der „Zuchplakettcher“ – kleine Plastikfiguren – soll den großen Rosenmontagszug finanzieren. Bunte Clowns sind es in diesem Jahr, die sich die Besucher zum Highlight der Mainzer Fastnacht um den Hals hängen werden.

Eine halbe Million Schaulustige werden es auch dieses Jahr wieder sein, die den rund 9.000 Narren auf ihrem sieben Kilometer langen Zug ausgelassen zujubeln. Uniformierte Ranzengardisten, bunte Fahnenschwinger, berittene Narren, schrille Musikgruppen aus aller Welt und kritisch-humorvolle Motivwagen rollen am 3. März bereits zum 113. Mal durch die Mainzer Innenstadt. Und wer als Besucher dieses Spektakels nicht als graue Maus und Fastnachtsmuffel abgetan werden will, der sollte sich zeitig überlegen, in welcher Maskerade er denn zum größten Volksfest der Region erscheinen will.

Foto: Sascha Kopp
Bedenke, irgendwann muss auch der Narr mal auf’s Klo
Freunde der Mainzer Saalfastnacht erproben bereits ab Anfang Januar, wie die gewählte Kostümierung für die diesjährige Kampagne beim übrigen Narrenvolk ankommt. Rund 200 Prunksitzungen in den großen und kleinen Hallen der Stadt dienen als willkommene Bühne, um das gewählte Outfit unter den kritischen Blicken Gleichgesinnter auf Originalität zu testen. Wer die Sitzungen der Fastnachtsvereine nicht als gesellige Volkskunst, sondern vielmehr als gekünstelten Frohsinn versteht und deshalb einen großen Bogen um die Festsäle in Rheingoldhalle und Kurfürstliches Schloss macht, der sucht sich eben andere Möglichkeiten, sich und seine Kreativität zu präsentieren.
Eine Fastnachts-Warm-up-Party in der Neustadt etwa ist eine gute Alternative. Heute haben Lisa und Judith in ihre WG geladen, um „abzuchecken, ob wir uns mit unserer Verkleidung am Rosenmontag überhaupt auf die Straße wagen können“. Neben rein optischen Merkmalen müssen Fastnachtskostüme auch praktische Kriterien erfüllen. Letztes Jahr waren Lisa und Judith als Burlesque-Ladys unterwegs: „Sah geil aus, aber die Korsage hat gezwickt, mit Netzstrümpfen friert man sich sonst was ab und mit Mega-High Heels zügig durch die Massen zu kommen, ist auch nicht einfach.“ Deswegen gehen die beiden in diesem Jahr als Krabbenpärchen zum Zug. Für Kostümidee und konsequenten Seitwärtsgang bekommen die beiden volle Punktzahl in Sachen Optik. Dass Pappmaché-Rückenpanzer und -scheren beim Toilettenbesuch etwas hinderlich sein können, werden die Mädels später noch erfahren. Dafür gibt’s dann Punktabzug in Sachen Praxistauglichkeit.
Ein gutes Dutzend an Kostümen wird an diesem Abend zur Schau gestellt. Es gibt Lob, Kritik und im besten Fall lautes Gelächter. Timo ist wie jedes Jahr Verlierer, wenn die Kreativität der Kostümierung bewertet wird. Er nimmt’s gelassen, schüttelt kurz seine Schlappohren und streicht sich über den rosa Plüschwanst. Seit zehn Jahren schon mischt er sich als „schwuler Osterhase“ unter das Narrenvolk. Das Kostüm hat sich bewährt: Der gefütterte Anzug hält bei Wind und Wetter warm und ein Reißverschluss an der richtigen Stelle erweist sich als äußerst hilfreich, will man etwas von dem loswerden, „was man den Tag über so in sich hineingeschüttet hat“, weiß er.
Und das kann in der Zeit um den Rosenmontag schon mal etwas mehr werden. Helau!
